Forensiktagung 2012

Im Folgenden die Texte des Booklets, welches die IG-FFP an der Forensiktagung 2012 an die Teilnehmer verteilt hat.

 

Vom Strafen zum vorbeugenden Wegsperren?

Vorwort von Dr. jur. Peter Zihlmann

 

Lebenspartner und Angehörige erheben in den nachfolgenden Darstellungen ihre Stimme und klagen an.
Die Direktbetroffenen sind unhörbar gemacht worden. Sie sind im festen Griff von Forensikern, von Psychiatern also,
die sich in den Dienst der Strafjuristen gestellt haben. Ihnen ist in letzter Zeit grosse Macht zugewachsen.
Einige wenige, schreckliche und spektakuläre Verbrechen wie der Mordfall „Zollikerberg“ vor bald 20 Jahren
brachten die Wende: Verbrecher sollten nicht nur bestraft, Verbrechen sollten wenn immer möglich verhindert werden.

Die moderne Psychiatrie, vor allem Frank Urbaniok, verkündet medienwirksam, das System dafür gefunden zu haben.

 

FOTRES – Psychiatrische Prognosebeurteilung

Das Zauberwort FOTRES (Forensisch-Operationalisiertes-Täter-Risiko-Evaluations-System) machte die Runde.

Dieses psychiatrische Prognosebeurteilungssystem legt die Gefährlichkeit von Tätern mit computergestützter Technik
auf Prozentpunkte genau fest. Seither machen sich Forensiker anheischig, das Rückfallrisiko von Tätern verbindlich
einschätzen zu können. Der Paradigmenwechsel vom Schuldstrafrecht zum sicherheitspolizeilich
legitimierten Wegsperren hat auch in der Schweiz stattgefunden.

 

Jahrelange Haft für prognostizierte mögliche Straftaten

Jetzt entscheidet nicht mehr die Tat, sondern das Wesen, der Charakter oder die Art der vom Forensiker
diagnostizierten „geistigen Störung“, ob einem Menschen die Freiheit aberkannt wird. Anhand von ausgeklügelten
Kriterienkatalogen und Checklisten wird das Forschungsobjekt „der gefährliche Täter“ erforscht und in seinem künftigen
Handeln nach wissenschaftlich anmutender Methode eingeschätzt.

Der Forensiker ist zum modernen Schamanen mutiert: Er sieht die Zukunft – zumindest im Negativen – voraus.
Der Forensiker legt mit Hilfe des nur noch formell entscheidenden Richters die Zukunft der Täter entsprechend seiner Prognose fest.
Wer von der Fachkommission, die mit Forensikern, Gefängnisdirektoren und Kriminalisten bestückt ist,
als gefährlich eingestuft wird, verschwindet in geschlossenen Anstalten. Ein perfektes, weil selbstreferentielles System!

 

Verwahrung und Zwangsmedikation als Druckmittel zur „Therapie“

Noch zeigen sich die Forensiker siegesgewiss. Sie wissen die kompakte Majorität der Bevölkerung hinter sich.
Die Krankenkassen werden geplündert für Tausende von Therapiestunden (zBsp. 1h à 135.- am Bespiel vom PPD Zürich),
das sogenannte „deliktsorientierte Arbeiten“, ein Clock-Work-Orange-System à la Stanley Kubrik.

 

                                                                                           
 
Fälle in Kurzzusammenfassung:

 

 

Erich Schlatter- auf unbestimmte Zeit weggesperrt

 

Anlassdelikt (nie bewiesen)

Erich Schlatter ist seit August 2010 im Hochsicherheitstrakt der Psychiatrischen Klinik Rheinau eingesperrt.
Auslöser war eine Notwehr, bei der niemand ernsthaft zu Schaden gekommen ist, für die er aber 2004 zu einer Haftstrafe
von 15 Monaten verurteilt worden ist. Man hat ihn der „versuchten schweren Körperverletzung“ für schuldig befunden. 

Grund war ein Streit um eine Zeitung im Restaurant Schalcheneck (Schaffhausen) im Jahr 2003. Schlatter hat dort am frühen Morgen einen Espresso getrunken. Zur gleichen Zeit war eine Gruppe von Eisenlegern im Lokal. Einer von ihnen wollte ihn provozieren und verlangte die Zeitung, die er las – die Wirtin nahm sie Schlatter weg und brachte sie dem anderen. Da Schlatter auf keinen Fall Streit wollte, verliess er das Restaurant und ging zu seinem Auto. Die Wirtin und einer der Eisenleger folgten ihm und hinderten ihn am wegfahren. Bedroht und in die Enge getrieben, wollte Schlatter sie vertreiben, er fischte aus dem Kofferraum das nächstbeste Teil, das er fand – ein Gepäckträgerteil – und begann, damit in der Luft herumzufuchteln. Über alles Weitere weiss ausser den dreien niemand Bescheid. Er scheint die Wirtin an der Schulter getroffen zu haben, ein Arzt stellte einen blauen Fleck fest. Kurze Zeit später wurde Erich Schlatter festgenommen und 2004 verurteilt.

 

Von der Haft in die „Massnahme“

Nachdem Erich Schlatter in der Strafanstalt Pöschwies 12 Monate und damit den Grossteil der Haft abgesessen hatte, wurde der Rest in eine „Massnahme“ umgewandelt. Es sind seither nicht mehr Richter, sondern forensische Psychiater für sein Schicksal zuständig. Aufgrund eines negativen Gutachtens, das ihm eine Persönlichkeitsstörung und ein „hohes strukturelles Rückfallrisiko“ attestierte, bleibt er auf unbestimmte Zeit eingesperrt, obwohl die Strafe längst abgesessen wäre. Seine Freunde und Bekannten, sein Anwalt und sein Vertrauensarzt wissen, dass er nicht gefährlich ist. Ihr Urteil zählt aber nicht, weil es nicht standardisiert werden kann. Nach eigener Aussage hat er auf keinen Fall je versucht, jemanden zu verletzen!

 

FOTRES: ein technokratisches Orakel

Die Psychiatrie hat ihre Deutungshoheit im Strafvollzug seit den 1990er Jahren markant ausgebaut. Diesen Expertenstatus verdankt sie datenbankgestützten Technologien, die Prognosen erstellen. Software-Programme wie das von Frank Urbaniok entwickelte FOTRES (Forensisch-Operationalisiertes-Täter-Risiko-Evaluations-System) kombinieren aufgrund statistischer Datensätze „Täter-Psychogramme“ und berechnen Rückfallrisiken. In die Kombination werden Persönlichkeitsmerkmale und Krankheitssymptome ebenso einbezogen wie kulturelle Prägung, Alter und sozialer Status. Das Modell ist deterministisch: Es geht davon aus, dass alle „Täter“ mit demselben Profil und denselben biographischen Eckdaten dieselbe Psyche haben, von der man wiederum eine in Prozenten bezifferbare Gefährlichkeit ableiten kann. Das Motto, das diesen Logarithmen zugrunde liegt, lautet: „Jede Tat ist berechenbar.“

 

Systematische Pathologisierung: Auszüge aus dem Lebenslauf

Erich Schlatter ist am 28. April 1949 in Zürich zur Welt gekommen und mit seinen Eltern und seiner Schwester in der Schweiz und in Indien (wo sein Vater für die Waggonfabrik Schlieren beruflich zu tun hatte) aufgewachsen. Als er 10 war, kamen sie in die Schweiz zurück und der Vater trennte sich von Familie. Schlatter besuchte in Zürich und Schaffhausen das Gymnasium, wurde vom Vater aber – trotz sehr guter Noten – aus der Schule genommen. Später besuchte er die Kantonale Maturitätsschule für Erwachsene (KME), wegen wiederholter krankheitsbedingter Absenzen wurde er aber – trotz Bestnoten – nicht zur Maturitätsprüfung zugelassen. Mit 15 Jahren wurde Schlatter das erste Mal zwangsweise in die Psychiatrie eingewiesen und dort schwer misshandelt. Es folgten gravierende Schlafstörungen, Schulabsenzen, später eine IV-Rente.

1993 wurde er ohne Erklärung verhaftet: Die Schaffhauser Polizei verdächtigte ihn, den 13-jährigen Dario Cicolecchia ermordet zu haben. Monate später überführte man den wahren Täter Roland K., ein Psychiatriepfleger und Mitarbeiter des Sozialdienstes Schaffhausen. Eine Entschuldigung für den ungeheuren Verdacht und den Freiheitsentzug erhielt Schlatter nie. 2004 folgte das Urteil wegen dem Streit vor dem Schalcheneck und 2005 die Verlegung vom Vollzug in die psychiatrische Massnahme. 2006 floh Schlatter aus der Massnahme und schlug sich im Ausland durch. Das Schweizer Fernsehen hat ihn zweimal gefilmt. Am 9. August 2010 wurde er von der Schweizer Polizei per Privatjet repatriiert und ist seither im Hochsicherheitstrakt der Psychiatrischen Klinik Rheinau eingesperrt.

 

Ein selbstreferentielles System

Grund für den Freiheitsentzug ist nicht mehr eine konkrete Tat, sondern der Output eines Datenrasters. Damit die evaluierenden Psychiater möglichst unvoreingenommen sind und nicht auf Lügen oder subjektive Deutungen hereinfallen, wird der persönliche Kontakt zum Mandanten auf ein Minimum reduziert und die Prognose maschinell erstellt. Diese Praxis gilt als objektiv. Die Justiz übernimmt keine Kontrollfunktion, weil sie gleichzeitig die Auftraggeberin ist. Und ein „reality check“ wird per Wegsperren auf Vorrat von vornherein ausgeschlossen. Früher wurden Menschen wie Erich Schlatter administrativ verwahrt. Heute ist an die Stelle der administrativen Verwahrung die „wissenschaftliche Verwahrung“ aufgrund datenbankgestützter Zukunftsmaschinen getreten.

 

                                                                                                                                                               

 

Hassan & Marion Mansour – nach 4 ½ Jahren gewaltfreier,

glücklicher Ehe auseinandergerissen aufgrund "FOTRES"

 

 

Anlassdelikt (nie bewiesen)

Hassan Mansour wurde 2005 von seiner Ex-Partnerin (nach 9 Jahren Beziehung mit 3 gemeinsamen Kindern) wegen angeblicher Vergewaltigung angezeigt. Die Ex-Partnerin war als Kind vom Vater sexuell missbraucht worden, seit Jugend drogensüchtig. Trotz ihres labilen Zustandes wurde während des ganzen Prozesses nie ein psychiatrisches Gutachten von ihr gemacht. Im 3 Jahre dauernden Prozess blieb es bei Aussage gegen Aussage, trotzdem wurde HM wegen einmaliger Vergewaltigung verurteilt. Das Urteil erscheint juristisch als „Kompromiss“. Vor und nach der angeblichen Tat gab es nie Gewaltvorfälle. Bis heute – also seit 8Jahren – beteuert HM seine Unschuld.

Urteil Januar 2009: 10 Monate unbedingt, aufgeschoben für amb. Massnahme 63.

 

Beziehung mit neuer Partnerin seit 2005

Von Anfang an wollte man H. Mansour dazu zwingen, die „Tat“ zuzugeben. Er bestand immer auf seiner Unschuld. Seine Aussage wurde nicht zuletzt immer glaubwürdiger, als  er zum Zeitpunkt des ersten Kontaktes zum PPD (Beginn der „ambulanten Therapie“) be-reits mehr als 4 Jahre vollkommen gewaltfrei mit seiner neuen Ehefrau Marion (Pianistin    + Organistin ref. Kirche) zusammenlebte. 2008 fand er eine 6-monatige Arbeitsstelle im Museum Tutanchamun Zürich (sehr gutes Arbeitszeugnis, PPD und OG kannten es nicht). Das Paar glaubte sich nach dem Urteil im Januar 2009 am langersehnten Neubeginn ei-nes normalen Lebens ohne Justiz. Doch es kam anders.

 

Juni 2009: PPD bezeichnet H. Mansour als „potentielle Gefahr“ für Ehefrau

Im ersten Gespräch (nach 15 min.) riet der PPD-Mitarbeiter der neuen Ehefrau, sich bei der Opferhilfestelle zu melden. Faktische Gründe gab es dafür keine. Marion Mansour erklärte klar, dass Gewalt in ihrer Beziehung nie ein Thema war, sie sich weder respekt-los behandelt, geschweige denn „in Gefahr“ vor ihrem Mann fühle. Vielmehr hatte das Paar seit Jahren für ihr gemeinsames Leben gekämpft. Mehrere Personen (auch Ärzte) aus dem Umfeld bestätigten das schriftlich. Dies – wie auch andere Fakten – wurde vom PPD und Obergericht ZH ignoriert. Aufgrund FOTRES wird Hassan Mansour entgegen aller Fakten als „potentielle Gefahr“ für seine langjährige Ehefrau bezeichnet, ohne dass diese sich je „bedroht“ gefühlt hatte. Marion Mansour wurde nie befragt, bevor man ihren Mann inhaftieren liess.

 

Fachleute, u.a. M. Gmür, bezeichnen den Fall Mansour als Skandal

Dezember 2009: Haft und rechtswidrige, nachträgliche Umwandlung der Massnahme

Der PPD deutete einen normalen ehelichen Streit als „Gefahr“, legte dem OG Zürich faktisch falsche Berichte vor und beantragte stationäre Massnahme 59. Richter K. Balmer ordnete die Haft an, ohne das Ehepaar je gesehen zu haben. Von Dezember 2009 bis November 2010 „wartete“ HM ein Jahr lang in Haft auf einen Klinikplatz. Das Ehepaar sah sich – nach 4 1/2 Jahren ehelichem Zusammenleben – plötzlich 11 Monate lang nur mit Sicherheitsscheibe, 1 Stunde pro Woche, keine Telefonate erlaubt. Marion Mansour hat ausser ihrem Mann keine Familie. Für beide begann eine gefühlsmässige Folter, die bis heute andauert. Das Paar ist kein Sozialfall, lebt in seriösen Verhältnissen, würde niemanden belasten. Die Haft kostet den Steuerzahler bisher ca. 330'000.- Die Anschuldigung der „Gefährlichkeit“ entbehrt jeglicher Fakten, ist spekulativ und realitätsfremd.

 

Einzig durch FOTRES kam es zur absurden Fehleinschätzung

 

Marion Mansour kämpft seit 3 Jahren für die Freilassung ihres Mannes

Im Dezember 2009 hat der damalige Anwalt von HM keinen Einspruch erhoben,
weil er wusste, dass HM weder eine „Gefahr“ für jemanden darstellt, noch gewalttätig oder psychisch gestört ist.
 

Er erwartete, dass HM ohne Einspruch schneller wieder aus der Haft/Klinik entlassen werden würde.
Diese Annahme war verheerend. Der unterlassene Einspruch wird seither als Zustimmung zur Massnahme gewertet,
obwohl sich das Ehepaar mit allen Mitteln aus der absurden, existenzzerstörenden Lage zu befreien versucht.

Alle vier Entlassungsgesuche wurden mit haltlosen Begründungen abgelehnt, u.a. hiess es:

„Es wäre zu befürchten, dass Frau Mansour wieder in Kontakt mit Herrn Mansour treten + 
sich Frau M. damit in Gefahr begeben würde wenn HM in Freiheit entlassen würde.“ 
(Zitat Fallverantwortlicher M. Gölz, der das Paar nie persönlich gesehen hat). 


Ebenso wird Marion Mansour (von J. Mayer JUV) aufgrund ihrer Haltung,
sich nie von ihrem Mann bedroht gefühlt zu haben als „therapiestörend“ bezeichnet.
Wegen Weigerung zur „Therapie“ wird HM klar mit Zwangsmedikation gedroht.

Hassan Mansour wurde plötzlich als „mittel-hoch-rückfallgefährdet“ in Bezug
auf seine neue Ehefrau eingeschätzt, obwohl es unbestritten nie Anzeichen für Gewalt gab.

Das Paar bindet bis heute eine tiefe Liebe. Marion Mansour kämpft seit  3 Jahren für die Freilassung ihres Mannes.

Mitarbeiter des PPD hängten ihr schon mehrfach das Telefon auf, als sie  nachfragte,
mit welchem Recht man ihren Mann als Gefahr für sie bezeichne, ohne sie je befragt zu haben.

Der verheerende Entscheid kostete sie bisher 35'000.- Anwaltskosten.
Ihren Beruf als Pianistin kann sie nicht mehr ausüben,
sie fühlt sich nach eigenen Aussagen „surreal“.